Drei Fragen an Horst Schmidt-Bökcing
Horst Schmidt-Böcking, Co-Autor unseres Bandes Otto Stern (1888-1969) und seine Jahrhundertexperimente, die die Welt der Physik revolutionierten, im Gespräch mit dem Präsidenten der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, Ekkehard Nümann.
Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Sie bezeichnen das Stern-Gerlach-Experiment von 1922 als "eines der folgenreichsten und spektakulärsten Experimente des 20. Jahrhunderts". Inwiefern haben die Erkenntnisse aus diesem Experiment die Physik revolutioniert?
Horst Schmidt-Böcking: Im Stern-Gerlach-Experiment wurden erstmals inner-atomare magnetische Momente, d.h. Drehimpulsvektoren (Länge und Richtung) gemessen und damit die Bohr'schen und Sommerfeld/Debye'schen Hypothesen über den Atomaufbau und die Bedeutung der Richtungsquantelung der Drehimpulse in Atomen (dynamisches Ordnungsprinzip im Atom) experimentell bewiesen. Dieser experimentelle Beweis ist das wichtigste experimentelle Fundament der Quantenphysik.
Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Der Welle-Teilchen-Dualismus ist die wichtige Grundlage der Quantentheorie. Er wurde 1924 von Louis de-Broglie theoretisch formuliert. Wie bedeutend sind Sterns Hamburger Experimente zum Welle-Teilchen-Dualismus für die Entwicklung der Quantenphysik?
Horst Schmidt-Böcking: Die Amerikaner Clinton Davisson und Lester Germer konnten 1927 nur qualitativ beweisen, dass sich Elektronenstrahlen bei Streuprozessen wie Wellen verhalten. Otto Stern aber war 1927-1930 der Erste, der diese de-Broglie-Beziehung in Hamburg experimentell für He-Atomstrahlen quantitativ mit 1% Genauigkeit bestätigen konnte. Die He-Atomstrahlen mit genau präpariertem Linearimpuls wurden an einer Kristalloberfläche gestreut und das Interferenzmuster (Wellenlänge) in Abhängigkeit vom Streuwinkel gemessen. Stern selbst betrachtete dieses Ergebnis als seinen wichtigsten Beitrag zur Entwicklung der Quantenphysik.
Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: In den Jahren 1930-1933 konnte Stern in Hamburg als erster mit einer verbesserten Stern-Gerlach-Apparatur die Pionierexperimente zur Messung von Kern-und Elementarteilchenstrukturen durchführen. Obwohl alle Theoretiker der damaligen Zeit überzeugt waren, dass die Dirac-Theorie das magnetische Moment des Protons korrekt beschreiben würde und eine experimentelle Bestätigung nicht notwendig sei, bestimmte Stern die magnetischen Momente vom Proton und Deuteron und zeigte, dass die Dirac-Theorie bei der Beschreibung dieser Momente total versagte. Was bedeuten diese Sternschen Experimente für die Entwicklung der Kern- und Elementarteilchenphysik?
Horst Schmidt-Böcking: Diese Experimente zeigten, dass das Proton und auch das Neutron im Deuteronkern keine Elementarteilchen sind, sondern eine damals unbekannte innere Struktur haben. Hamburg wurde durch diese Stern'schen Experimente zum Geburtsort der Kern-und Elementarteilchenstrukturphysik. Stern legte damit die Grundsteine der Physik, die später nach 1959 der Forschungsinhalt von DESY wurden.
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